- Nina Hagen
- Nina HagenStimmwunder und MedienstarDie aus Berlin (Ost) stammende Nina Hagen, Tochter der DDR-Schauspielerin Eva-Maria Hagen und Ziehtochter Wolf Biermanns, war in ihrer Heimat schon 20-jährig ein Star. 1976 durfte sie in den Westen ausreisen, und nach einem richtungsweisenden Aufenthalt in London setzte sie an, die westdeutsche Rockmusik zu revolutionieren. Ihre erste Platte 1978 war bahnbrechend, weil sie in deutscher Sprache persönlich, dabei auf jeden übertragbar, Jugend- und Frauenprobleme thematisierte und damit den emanzipationsbegierigen Heranwachsenden in Deutschland zu einer eigenen Haltung und Sprache verhalf. Die gewandte Sängerin mit ihrer unglaublich modulierfähigen, mehrere Oktaven umfassenden Stimme arbeitete beständig weiter und hatte solo insbesondere 1983 Erfolg, als sie mit Aufnahmen wie »Zarah« und »New York/N. Y.« einen wichtigen Beitrag zur Etablierung der amerikanischen Rapkultur in Deutschland leistete. Nina Hagen wurde im Lauf der Jahre immer mehr zu einer schrillen Popikone und Ulknudel, die von UFOs und göttlicher Inspiration redete und sich dabei, durchaus ambitioniert und ehrenwert, für Vegetariertum und den Weltfrieden stark machte.Jugend in OstdeutschlandNina (Katharina) Hagen kam am 11. 3. 1955 in Berlin (Ost) zur Welt und wuchs ohne leiblichen Vater auf. Dessen Rolle übernahm der kritische Liedermacher Wolf Biermann als Lebensgefährte ihrer Mutter, der bekannten Schauspielerin und Sängerin Eva Maria Hagen. Mit diesem familiären Hintergrund war Nina im Grunde von vornherein für eine Karriere als Künstlerin prädestiniert, doch hatte sie zunächst Pech und bestand mit siebzehn die Eignungsprüfung an der staatlichen Schauspielschule nicht. Sie ging daraufhin nach Polen und sang dort in einer Bluesband Lieder von Janis Joplin und Tina Turner. Nach ihrer Rückkehr nach Berlin absolvierte sie eine Ausbildung am Studio für Unterhaltungsmusik und begann, sich in ihrer Heimat als Sängerin zu versuchen. Bei einem Auftritt mit dem Alfons Wonneberg Orchester lernte sie die Leipziger Musikgruppe »Automobil« kennen, mit der sie zu arbeiten begann. Die erste gemeinsame Single, »Du hast den Farbfilm vergessen«, mauserte sich 1972 schnell zu einem Hit in der DDR. Bald trennte sich Nina jedoch von der Gruppe, um mit einer Combo namens »Fritzens Dampferband« weiterzumachen (die Hits der frühen Jahre erschienen im Westen Deutschlands erstmals 1992). Außerdem klappte es nun mit der Schauspielerei, denn 1973 übernahm Nina in der Leipziger Inszenierung des Musicals »Cabaret« die Rolle der Sally Bowles. 1974 gewann sie bei einem Interpretenwettbewerb in Karl-Marx-Stadt (heute Chemnitz) einen Preis als »beste Nachwuchssängerin des Jahres«, und die Mitarbeit an zwei Filmen (»ABC der Liebe« und »Junge, heute ist Freitag«) sorgte zusätzlich dafür, dass Nina in ihrer Heimat bereits mit zwanzig eine Kultfigur war. Als 1976 Wolf Biermann während eines Gastspiels in Westdeutschland aus politischen Gründen aus der DDR ausgebürgert wurde, gelang es Nina, ebenfalls die Ausreise zu erwirken und ihrem Ziehvater in die Bundesrepublik zu folgen.Im Westen was NeuesAls prägendes Erlebnis erwies sich gleich zu Anfang ihre Reise nach London, wo sich Ende 1976 eine neue, aufregende Musikströmung Bahn gebrochen hatte - der Punk. Nina sog begierig alles, was es zu sehen und zu erleben gab, in sich auf, lernte Johnny Rotten, den Sänger der Sex Pistols, kennen und arbeitete mit Ari Up, der Sängerin der Slits. Voll neuer Ideen kehrte Nina im Herbst 1977 nach Berlin (West) zurück und machte sich auf die Suche nach geeigneten Musikern. Beim Politrock-Kabarett Lokomotive Kreuzberg wurde sie schließlich fündig, und mit dem Keyboarder Reinhold Heil (* 18. 8. 1954), dem Bassisten Manfred Praeker (* 29. 9. 1951), dem Gitarristen Bernhard Potschka (* 1. 3. 1952) sowie dem Schlagzeuger Herwig Mitteregger (* 6. 9. 1953) gründete sie gegen Ende des Jahres die »Nina Hagen Band«. Jim Rakete, ein angesehener Fotograf und damals zunehmend rühriger Musikfunktionär, wurde auf die Gruppe und insbesondere auf das quirlige Berliner Gör und Stimmwunder Nina Hagen aufmerksam. Er übernahm als »fünfter Mann« die Geschäfte der Band, die ins Studio ging und im Herbst 1978 eine Platte vorlegte, die im miefigen westdeutschen Rockalltag eine Sensation darstellte. Die Nina Hagen Band war zwar nicht sonderlich punkig, sondern viel mehr dem amerikanischen New Wave einer Patti Smith verpflichtet, und die Musiker waren nun einmal gute alte Deutschrocker, doch genau diese Mischung sorgte dafür, dass die Musik einerseits den Hörgewohnheiten des deutschen Publikums entgegenkam, Ninas Gesang (über mehrere Oktaven) und Posen (lasziv, weiblich und frech) hingegen derartig selbstbewusst und neuartig wirkten, dass Jugendliche beinahe jeglicher Herkunft sich mit der Künstlerin und der von ihr verkörperten Haltung identifizierten (die LP erreichte Platz 11 der deutschen Hitparade). Insbesondere in antiautoritär und emanzipatorisch ausgerichteten Kreisen wie der Frauenbewegung und der linken bzw. autonomen Politszene wurden Ninas Lieder zu Hymnen, deren Texte jeder auswendig kannte, etwa »Unbeschreiblich weiblich«, »Heiss«, »Rangehn«. Innerhalb kürzester Zeit war Nina in Westdeutschland ein Superstar und eine Leitfigur, die - in Texten oder Interviews - kein Blatt vor den Mund nahm, freizügig über Befindlichkeiten und Zustände ebenso gern sprach, wie sie, gefragt oder ungefragt, Lebenstipps gab.Eigene Wege und »Unbehagen«Der zunehmende Rummel um ihre Person führte dazu, dass Nina binnen kürzester Zeit Schwierigkeiten mit ihren Mitmusikern bekam. Nachdem sie eine neue, ihrem Status entsprechende Verteilung der Gelder gefordert und sich des Öfteren als launisch erwiesen hatte, kam es im Frühjahr 1979 zum Bruch. Nina ging nach Amsterdam, einer der europäischen Hippie- und Punkhochburgen, trat mit Herman Broods Gruppe »Wild Romance« auf und engagierte sich gemeinsam mit Lene Lovich an Broods Filmprojekt »Cha cha«, um ihre groß angekündigte »Weltkarriere« einzuleiten. Mit ihrer Anleitung zur Selbstbefriedigung, die sie im Rahmen einer Fernsehtalkshow des Österreichischen Rundfunks anschaulich zu demonstrieren versuchte, handelte sie sich zunächst allerdings äußerst negative Schlagzeilen ein, doch nach einer Englandtournee mit einer hastig zusammengestellten niederländischen Begleitband wurde sie von der britischen Presse als Künstlerin gefeiert, »die das Zeug hat, nach Lotte Lenya und Marlene Dietrich außerhalb Deutschlands den stärksten Eindruck zu hinterlassen«. Doch vertragsgemäß hatte sie noch eine zweite Platte mit ihrer Berliner Band zu machen. Bei den Aufnahmen gingen sich die Beteiligten aus dem Weg und die Platte brachte Ende 1979 im Titel ein geistreiches Wortspiel, das die Stimmung beim Entstehungsprozess ausdrückte: »Unbehagen«. Den Umständen entsprechend klang die Arbeit viel weniger aus einem Guss als die Vorgängerplatte, doch sie war bei weitem besser produziert und brachte beachtliche Klänge und Musikstücke wie »African Reggae« oder »Hermann« (insbesondere Reinhold Heil trat als Soundtüftler in den Vordergrund und legte den Grundstein für seine erfolgreiche Karriere als Musikproduzent). Nina brillierte mehrsprachig als Sängerin und kam beim Publikum sehr gut an (Platz 2 der deutschen LP-Charts).Erleuchtung und »Weltkarriere«Nina verließ ihre vier Berliner Musiker, die 1980 eigene Wege einschlugen und sich als »Spliff«, später auch teilweise solo einen Namen in der deutschen Musiklandschaft machten. Ihre eigene »Weltkarriere« geriet ins Stocken, denn weder war die Zusammenarbeit mit Bennett Glotzer (Manager von Frank Zappa) von Erfolg gekrönt, noch zeigte sich das deutsche Publikum bereit, hingeschluderte Auftritte zu honorieren. Nina zog sich nach Los Angeles zurück und brachte am 17. Mai 1981 eine Tochter zur Welt, die sie unter dem Einfluss der indischen Erleuchtungsphilosophie und des Hinduismus Cosma Shiva nannte (das Mädchen wurde Ende der 1990er-Jahre einer der beliebtesten und begabtesten Jungstars im deutschen Film und Fernsehen). Erst 1982 legte Nina mit »Nun sex monk rock« wieder eine neue Platte vor, an der sich zwar die Geister schieden, die sich in Deutschland aber zufriedenstellend verkaufte.Musikalisch setzte Nina damals auf amerikanischen Funk, textlich gab sie sich abgedreht religiös und prophetisch. Ihre Ausführungen zu Glaube, Spiritualität und UFOs verschafften ihr durchaus Aufmerksamkeit, auch wenn sie mit ihrem teils ausgeflippten, teils sendungsbewussten Auftreten Kopfschütteln und Ablehnung erntete. 1983 gelang es ihr dann, auch unabhängig von ihren kosmischen Visionen und Predigten eine breite Öffentlichkeit für sich zu interessieren, denn mit »Angstlos« präsentierte sie der Welt ein Album, das musikalisch überzeugte. Gemeinsam mit dem Discoproduzenten Giorgio Moroder hatte sich Nina sämtlicher Elemente der damals angesagten »schwarzen« Musik bedient, und Rhythmusmaschinen, Scratching und Rap bildeten eine hervorragende Ergänzung zu ihrer Stimme, die sie mal kabarettistisch, mal opernartig einsetzte und bei Dancenummern wie »New York/N. Y.« sowie der Hommage an Zarah Leander, »Zarah (ich weiß, es wird einmal ein Wunder geschehn)«, zu voller Geltung brachte. Nun endlich war Nina Hagen ein internationaler Star, doch je kosmopolitischer sie sich gab, desto weniger schien sich ihr deutsches Publikum für sie als Künstlerin zu interessieren.Eine deutsche Popikone kommt in die JahrePlatten wie »In Ekstase« (1985) oder »Nina Hagen« (1989) hinterließen kaum nennenswerte Spuren, doch Aktionen wie ihre - von der Maxisingle »Punk wedding« begleitete - Hochzeit mit einem 18-Jährigen (1987), ihre Beteiligung an einem Projekt des Goethe-Instituts (1988), die Veröffentlichung ihrer Autobiografie »Ich bin ein Berliner« (1988) sowie ihr Umzug nach Paris, wo sie sich ihre Kostüme von Jean Paul Gaultier schneidern ließ und ihren neuen Lebensgefährten Franck Chevalier, den Vater ihres 1990 geborenen Sohnes Otis, kennen lernte, sorgten dafür, dass Nina sich immer wieder in den Mittelpunkt des öffentlichen Interesses rücken konnte. Ihre Bekanntheit ausnutzend und ihr mittlerweile überzeugtes Vegetarierdasein unterstreichend, veröffentlichte sie 1986 gemeinsam mit Lene Lovich die Platte »Don't kill the animals«, deren Erlös an eine Tierhilfsorganisation ging. Auf den Fall der Berliner Mauer reagierte die »gesamtdeutsche Rockröhre« (»Musik Express«) 1991 mit ihrer CD »Street«, die neben englischsprachigem Material auch Songs wie »Berlin (ist dufte)«, »Erfurt und Gera« (auf Sächsisch) und »Gretchen« (mit Text von Goethe) enthielt. Im Zuge der Wiedervereinigungseuphorie kam es dann 1992 auch zur Wiederveröffentlichung der Aufnahmen, die Nina Mitte der 70er-Jahre in der DDR gemacht hatte. In diesem Jahr bestimmte sie stimmlich und musikalisch die aufwendige Werbekampagne des Schweizer Uhrenherstellers Swatch (Musik erschien als Single »Go ahead«), außerdem stand sie bei dem Film »Lilien in der Bank« (mit Georg Thomalla und Werner Schneyder) wieder einmal vor der Kamera.Ihre nächste eigene Platte war »Revolution ballroom« (1993), ein verhältnismäßig hörerfreundliches Werk, das unter der Leitung von Phil Manzanera (ehemals bei Roxy Music) entstanden war. Ebenfalls 1993 wirkte Nina neben Udo Lindenberg und Uwe Ochsenknecht auch an »Haare«, der deutschen Fassung des Erfolgsmusicals der 60er-Jahre »Hair«, mit und sang »Let the sunshine in«. Mit »Freud euch« legte sie 1995 eine weitere LP vor, die entspannt, dabei durchaus engagiert und punkig daherkam und weit weniger manieriert anmutete als ihre bisherige Arbeit. Der deutschsprachigen Fassung folgte 1996 eine weitgehend identische englische mit dem Titel »Beehappy«. Produziert von Dee Dee Ramone, einem Mitglied der legendären Punkband »The Ramones«, präsentierte sich Nina als Diva von echter Größe, die zwar immer noch jede Menge Quatsch im Kopf hat, indessen zu Reife und größerer Bescheidenheit gelangt ist und ihre Zuhörer nicht mehr vorsätzlich überstrapaziert. Dies belegen auch ihre Nebenaktivitäten: 1996 gastierte sie als Sängerin bei dem BAP-Album »Amerika«, Anfang 1997 war sie in der »Tatort«-Episode »Tod im All« zu sehen, und auch Thomas D., dem Sänger der »Fantastischen Vier«, leistete sie bei seinem »Solo«-Album 1997 stimmlich Schützenhilfe. Im Jahr 2000 erschienen mit der Single »Der Wind hat mir ein Lied erzählt« und dem Album »Return of the mother« weitere Solowerke. Im gleichen Jahr trennte sie sich von ihrem Ehemann David Lynn, den sie 1996 in Los Angeles geheiratet hatte - ein weiterer Neuanfang im Leben der Nina Hagen.
Universal-Lexikon. 2012.